TIM ZAJONTZ
Reisen in Afrika ist nicht immer komfortabel, vor allem wenn man auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen ist. Busse und Minibus-Taxis sind voll – mit Personen, manchmal Ziegen und Hühnern, sowie unendlichen Mengen an Gütern und Gepäck. Es ist heiß, staubig und eng. Die Straßen sind über lange Strecken lediglich mit Schlaglöchern besäte Pisten. Dennoch ist jede Fahrt ein Erlebnis und als Weißer – oder „Mzungu“, wie einen die Locals in Ostafrika nennen – ist man stets eine Attraktion und automatisch in viele Gespräche verwickelt. So habe ich die letzten sechs Wochen meinen Weg vom tansanischen Dar es Salaam über die Insel Sansibar, Kenias Küstenregion, die Insel Lamu und Nairobi nach Uganda gemacht.
Auf den ersten Blick hat sich hier seit meinem letzten Besuch wenig verändert. Die Menschen sind gastfreundlich wie eh und je. Allerdings hat sich die soziale und ökonomische Situation großer Teile der Bevölkerung, vor allem im Laufe des letzten Kalenderjahres, merklich verschlechtert. Bereits einen Tag nach meiner Ankunft in Uganda lese und höre ich von erneuten Streiks und Demonstrationen in mehreren großen Städten des Landes. Angeführt von der Vereinigung von Einzelhändlern und unterstützt von Handwerksvereinigungen sowie Taxi-, Busfahrer- und Lehrergewerkschaften legen dieses Mal die Protestierenden große Teile des Geschäftsviertels der Hauptstadt Kampala lahm. Ursache des Protests sind steigende Zinssätze der Geschäftsbanken auf bestehende Kredite, die Ugandas Bankkunden, vor allem Kleinkunden, in den letzten Wochen weiter finanziell unter Druck setzten. Während die Regierung versucht, die Wogen zu glätten und mit einer enormen Polizei- und Armeepräsenz in den Straßen für Ruhe sorgt, bleibt die Lage eines Großteils der Bevölkerung prekär. Präsident Museveni scheint auf das „Prinzip Hoffnung“ zu setzen und verkündete in seiner Neujahrsansprache, dass Ugandas Wirtschaft entgegen pessimistischer Vorhersagen robust und im Aufwärtstrend sei. Viele Ugander würden ihrem Präsidenten aufgrund ihrer alltäglichen Schwierigkeiten zur Zeit wohl widersprechen.
Bei einer Inflationsrate von momentan 27 Prozent kann sich die Mehrheit der Ugander alltägliche Konsumgüter kaum noch oder eben nur noch in geringeren Mengen leisten. Pfarrer Vincent Ndanda, einer der Projektpartner des Freundeskreises Uganda e.V. vor Ort, berichtete im Gespräch mit mir, dass über die Weihnachtsfeiertage im ganzen Land kein Brenngas mehr vorhanden war. Viele Ugander hätten auf Letzteres zurückgegriffen, weil sie sich Holzkohle – der am weitesten verbreitete Brennstoff zum Kochen, vor allem in ländlichen Gegenden – schlichtweg nicht mehr leisten konnten. In Familien, in denen keine Gas-Kochstelle vorhanden ist, musste gänzlich auf ein warmes Weihnachtsmahl verzichtet werden. Roy Mwesigwa, der für das Schulprojekt in einem Slum von Jinja sowie für eine Gruppe HIV-infizierter Frauen Verantwortung trägt, beides Projekte, die von der GZ-Weihnachtsaktion profitieren werden, berichtete den Mitgliedern des Freundeskreises Uganda e.V. bereits im Oktober: „Die Preise für die Grundbedürfnisse, wie Essen, Brennstoff zum Kochen sowie für den Transport, Medikamente zur Behandlung alltäglicher Krankheiten, Schulgeld, Hygiene-Artikel wie Seife oder Zahncreme und ein ganzes Spektrum an Haushaltsgütern, haben sich zum Teil mehr als verdreifacht.“
Steigende Nahrungsmittelpreise machen vor allem der städtischen Bevölkerung zu schaffen, die nicht auf selbst angebaute Lebensmittel zurückgreifen kann. Laut dem aktuellsten Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen waren in Uganda im November die Preise für Mais, eines der Hauptnahrungsmittel im Land, um 68 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Dabei sind die Preissprünge auf dem Nahrungsmittelmarkt nicht nur auf steigende Treibstoffkosten, sondern auch auf Spekulationsgeschäfte multinationaler Investmentbanken im Nahrungsmittelsektor zurückzuführen. Nach vielen Jahren der Nahrungsmittel-Stabilität in Uganda ist Hunger daher seit Monaten wieder Alltag für manche Ugander. Aber nicht nur in diesem Bereich machen sich die Kostensteigerungen bemerkbar. Unsere Partner von der „Glory Primary School“ im Slumviertel Masese berichteten mir, dass landesweit Eltern teilweise ihre Kinder nicht mehr zur Schule geschickt haben, da sie sich die Schulgebühren nicht mehr leisten konnten.
Doch, wenngleich die enormen Preissteigerungen des letzten Jahres für die Ugander momentan die unmittelbarste und existenziell bedrohlichste Herausforderung sind, ist es definitiv nicht die einzige, vor dem das Land am Viktoriasee steht. Die gesellschaftspolitische Situation bleibt weiter angespannt. Zwar sind die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Oppositionsanhängern und Sicherheitskräften der Regierung, die nach den Präsidentschaftswahlen Anfang letzten Jahres die Schlagzeilen bestimmt haben, verstummt oder – vielleicht treffender formuliert – erfolgreich unterdrückt. Dennoch bleiben das Land politisch tief gespalten, die Opposition zerstritten und Teile der politischen Elite korrupt. Im Korruptionsranking von Transparency International belegt Uganda momentan Patz 143 – von 182.
Einen Vorwurf von Seiten der internationalen Gemeinschaft bezüglich schlechter Regierungsführung und massiv gelenkter Demokratie muss Präsident Museveni allerdings kaum fürchten. Trotz der Missstände wird die verhältnismäßige Stabilität des Landes und vor allem das militärische Engagement in Ostafrika sehr geschätzt: Uganda stellt den Hauptteil der Truppen für die Mission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM). Letzteres macht das Land zu einem der Hauptzielscheiben des Terrors der Al-Shabaab-Miliz, die sich unter anderem zu den Bombenanschlägen in Restaurants und Cafés in Kampala während Live-Übertragungen der Fußball-WM im Sommer 2010 bekannte. Trotz terroristischer Vergeltungsschläge ließ Museveni die Truppen nicht abziehen. Die Bündnistreue wird insbesondere von den USA geschätzt, die verlässliche Verbündete am Horn von Afrika dringend benötigt. Und so wird über den ugandischen Präsidenten, der seit 1986 an der Macht ist, eine international mächtige, schützende Hand gehalten: Stabilität scheint Vorrang vor demokratischen Forderungen zu haben. An anderer Front und mittlerweile unterstützt von Militärexperten der US-Armee, suchen tausende ugandische Soldaten desweiteren seit Jahren nach dem Anführer der „Lord‘s Resistance Army“, Jospeh Kony. Dieser führt seit Ende der 1980er Jahre einen erbitterten Kampf gegen die Regierung in Kampala und löschte dabei ganze Dörfer im Norden Ugandas, Südsudan, der Zentralafrikanischen Republik sowie im Nordosten Kongos aus und zwang Hundertschaften von Kindersoldaten zu Gräueltaten.
In der Tat ist Uganda die „Perle Afrikas“, wie Winston Churchill das Land einst betitelte. Mein aktueller Besuch macht mir einmal mehr deutlich, mit welcher landschaftlichen und kulturellen Vielfalt dieses Land gesegnet ist. Allerdings hat es weiterhin mit enormen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen zu kämpfen, unter denen vor allem die Schwächeren in der Bevölkerung leiden.